Biikerede 2020

In diesem Jahr hatte ich als Nationalparkwattführerin die Ehre, die Feuerrede zu halten. Zu Anfang habe ich das Grußwort des Bundespräsidenten verlesen. Eröffnet hatten Momme Elsner und der 2. Bürgermeister Detlev Witt. Wir hatten mehr als 11 Busse da, also mehr als 500 Besucherinnen. Und trotz des schlechten Wetters brannte alles gut. Ein bewegender Abend. Weitere Bilder gibt es beim Heimatverein.

Leeve Gäste, leeve Nordstrander und leve Freunde der Biike,

im Namen des Heimatvereines und im Namen der Gemeinde Nordstrand heiße ich sie herzlich beim Biikefeuer 2020 willkommen. Bevor ich mit der Biike Rede beginnen kann, benötige ich Ihre Hilfe.

• Wir bedanken uns bei den Aktiven auf der Insel und dem Heimatverein um Momme Elsner, die diese Veranstaltung organisiert haben und das Biikefeuer aufgebaut haben.

• Dann bedanken wir uns bei der Gemeinde und unserer Bürgermeisterin Ruth Kruse, die dieses öffentliche Feuer machen nicht nur genehmigen, sondern es auch selber noch anzünden.

• Und dann geht noch ein ganz besonderer Dank an unsere freiwillige Feuerwehr, die mit vielen Einsätzen im vergangenen Jahr für uns zur Hilfe war und heute Abend für unsere Sicherheit sorgt.

Es ist heute ein ganz besonderer Abend. Es ist ein ganz besonderer Abend, weil wir hier auf einem ganz besonderen Stück Land stehen und auf das Biike Feuer warten. Wir stehen hier auf unserer Insel, Nordstrand, zu der jeder von uns einen ganz persönlichen Bezug hat. Es ist unser Leben, das wir hier haben und das uns mit dieser Insel verbindet. Und es ist die Geschichte dieser Landschaft, die geboren wurde durch die Nordsee und durch den Sturm. Zwei gigantische Sturmfluten, Mandränken genannt, haben tausende unserer Vorfahren in den Tod gerissen und ihnen das Land genommen.

In der 1. Mandränke, in drei eisigen Januartagen des Jahres 1362, ging das sagenumwobene Rungholt unter. Mit Rungholt verschwand das alte Nordfriesland für immer. Ich selber mache seit 10 Jahren die Wattführungen nach Rungholt und ich kann mit Fug und Recht sagen, dieses Stück Watt, das immer wieder Scherben und Knochen frei gibt, Herz und Seele berührt. Nicht bei jedem, aber bei vielen,

• die da draußen gegangen sind, wo die Rungholter gegangen sind,

• die dort gestanden und geschwiegen haben, wo die Rungholter gestanden und geschwiegen haben.

Die Wunden der 1. Mandränke sind nie ganz verheilt und das ist der Grund, warum sich immer wieder Menschen auf die Suche nach Rungholt begeben haben und begeben werden. Es ist kein Zufall, dass wir heute darüber sprechen, denn vor 99 Jahren hat der Nordstrander Andreas Busch Rungholt gefunden.

Wir müssen heute Abend nicht nach Rungholt gehen, um Geschichte wahrzunehmen, denn wir stehen auf den Resten der Insel Strand. Von uns aus im Südwesten, lag der Ort Hersbül, der in der „Zweiten Mandränke“ am 11. Oktober 1634 unterging. Alle 11 Häuser wurden zerstört und 49 Einwohner ertranken. Von der Kirche in Hersbüll blieb nichts erhalten.

An jenem verhängnisvollen Samstag ging die Insel Strand unter, weil der Deich fast gleichzeitig an zwei Stellen brach. Bei Illgrof, das lag praktisch vor der Haustür unserer Bürgermeisterin. Und hier vor unseren Füßen, weil sich hier eine Engstelle zur Halbinsel Eiderstedt befand. Die Bruchstelle muss gewaltig gewesen sein und es müssen riesige Wassermassen eingedrungen sein, denn von dem Deich der Insel Strand finden wir da draußen im Watt nur noch ganz wenige Reste. Mit diesem Wissen sind wir heute quasi Augenzeugen des Unterganges.

So steht das Biikefeuer heute für uns alle, für die Gäste und die Einheimischen, als Symbol für die Verbindung von Geschichte und Gegenwart. Wir senden mit diesem Feuer einen Gruß an den Geist der Menschen, die vor uns dieses Land gestaltet haben und dank derer wir heute hier stehen. Wer je in seinem Leben an einem Februar Abend die Biikefeuer in Nordfriesland hat brennen sehen, vergisst diesen Anblick bestimmt nie wieder.

Wir erinnern uns an die Worte im Alten Testament, Psalm 46, und werden danach einen Moment gemeinsam schweigen: Darum fürchten wir uns nicht,

• wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken,

• wenngleich das Meer wütete und wallte

• und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.

Kommt her und schauet die Werke des Herrn, der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet, …

Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!

Nordstrand war im Meer versunken – Nordstrand wurde dem Meer entrungen – Die Biike möge brennen.

Frank-Walter Steinmeier

Berlin, im Februar 2020

Schriftliches Grußwort anlässlich der Biike-Feiern 2020

Liebe Leserinnen und Leser, wenn in diesem Jahr die Biikefeuer lodern, werden wahrscheinlich wieder Menschen mitfeiern, die ursprünglich nicht aus der Gegend stammen, die vielleicht als Touristen sogar zum ersten Mal von diesem Brauch gehört haben und mit großer Neugier teilnehmen. Solche Begegnungen sind ein Wert an sich, denn sie bringen auf wunderbare Weise ein Gespräch darüber in Gang, was diesen Landstrich eigentlich ausmacht und wie die Region wurde, was sie heute ist.

2020 eignet sich ganz besonders für eine kleine Geschichtsstunde. Frieden, dieses Wort fallt mir als erstes ein, wenn ich daran denke, was hier in Schleswig vor einhundert und vor fünfzig Jahren gelungen ist. 1920 einigten sich die Dänen und die Deutschen per Volksentscheid auf einen Grenzverlauf, der bis heute Bestand hat. Wer zu welcher Mehrheit oder Minderheit gehörte, blieb ein Thema, aber nach 1945 glücklicherweise keins mehr, für das Kriege geführt wurden. Auch 1970 gelang eine Neuordnung, die Geschichte schrieb. Der Kreis Nordfriesland entstand als Verwaltungseinheit, die längst nicht von allen bejubelt wurde. Und dennoch gedieh auf kleinstem Raum eine beeindruckende Vielfalt: fünf traditionell gewachsene Sprachen und noch weit mehr integrierte Lebensmodelle – dazu gratuliere ich sehr herzlich!

Ich wünsche allen Festgästen, woher auch immer sie kommen, dass sie am Biikefeuer finden, was sich so viele Menschen in unserem Land erhoffen: eine – trotz aller Unterschiede – friedliche Gemeinschaft.